Auf der Jagd nach Legenden auf Luzerns Hausberg
- Patrick Young
- 10. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Aug.
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Der Pilatus – Luzerns Hausberg
Nachdem wir gemeinsam in der Reuss geschwommen waren, zeigte mein Freund Ben auf einen großen Berg in der Ferne und sagte: „Das ist der Pilatus. Das ist Luzerns Hausberg.“
Ich liebe deutsche Wörter, weil ihre wörtlichen Bedeutungen oft voller kultureller Einsichten stecken. Ein Hausberg ist ein Berg, der zu einem bestimmten Haus oder einer Heimat gehört. Mit anderen Worten: Es ist der Berg, der zur Stadt Luzern und ihren Einwohnern gehört und sie repräsentiert. Allein die Existenz dieses Wortes legt nahe, dass auch andere Schweizer Städte ihre eigenen Hausberge haben – ein wichtiger Bestandteil lokaler Identität und des Stolzes der Bewohner.
Ben fuhr fort: „Er ist 2.000 Meter hoch. Morgen laufen wir da hinauf.“ Das Einzige, was mir noch mehr Freude bereitet, als einen Berg hinaufzulaufen, ist es, die Legenden zu entdecken, die ihn umgeben – besonders, wenn sie über Jahrhunderte von der Folklore geprägt wurden.

Legende Nr. 1 – Der Drachenstein von Luzern
Im Naturhistorischen Museum Luzern befindet sich der „Drachenstein“. Der Legende nach sah irgendwann Anfang des 16. Jahrhunderts ein Bauer namens Stämpflis, wie ein Drache vom nahegelegenen Rigi in Richtung Pilatus flog und unterwegs etwas fallen ließ. Neugierig ging er der Sache nach und fand einen runden Stein, von dem er glaubte, er besitze magische Heilkraft.
Im Laufe der Jahrhunderte wechselte der Stein viele Male den Besitzer. Sein Ruf wuchs so sehr, dass der Kanton Luzern ihn 1929 für 400 Franken kaufte. In den 1950er-Jahren wurde er dem Pharmaziehistorischen Museum in Basel verliehen – allein auf Grundlage eines Handschlags zwischen den Direktoren, ohne jegliche Dokumentation. Als beide Direktoren innerhalb kurzer Zeit verstarben, wurde der Verbleib des Steins zum Rätsel. Jahre später erkannte ein Mitarbeiter des Luzerner Museums, der mit einer Schulklasse Basel besuchte, den Stein wieder und veranlasste seine Rückführung. Seither ist er wieder in Luzern ausgestellt.
Zwar war das Rätsel um den Verbleib des Steins gelöst, doch eine weitere Frage blieb: Woraus besteht der Stein eigentlich? Jahrzehntelang glaubte man, der Drachenstein sei ein Meteorit – eine passende Erklärung, falls Stämpflis tatsächlich etwas durch den Himmel hatte fliegen sehen, und keinen Drachen. Doch eine Untersuchung im Jahr 2006 brachte die Wahrheit ans Licht: Es handelt sich – Trommelwirbel bitte! – um gebrannten Ton [1].
Trotzdem kann Bauer Stämpflis darüber schmunzeln, denn was auch immer er damals über dem Pilatus gesehen hat – die Faszination und Zuneigung der Luzerner zu ihrem Drachenstein hat es nicht geschmälert.

Legende Nr. 2 – Die Grabstätte von Pontius Pilatus
Was aus Pontius Pilatus wurde, nachdem er die Kreuzigung Jesu angeordnet hatte, ist unbekannt – doch in Luzern sagt man, er sei auf dem Pilatus selbst begraben.
Laut dem mittelalterlichen Text Cura sanitatis Tiberii nahm sich Pilatus das Leben, sorgte jedoch selbst im Tod weiter für Unruhe. Zunächst wurde er im Tiber in Rom beigesetzt, doch sein Geist soll heftige Stürme entfacht haben. Daraufhin wurde er in Wien bestattet – mit demselben Ergebnis. Schließlich hatte man genug und brachte ihn weit fort in die Schweiz, wo er „in eine von Bergen umgebene Grube versenkt wurde, aus der bis heute… gewisse teuflische Machenschaften hervorzubrechen scheinen“ [2].
Lokale Legenden sind sich weitgehend einig, dass Pilatus’ Leichnam auf Luzerns Hausberg endete, ihn mit Stürmen verfluchte und ihm seinen Namen gab.
Wahrscheinlicher jedoch stammt der Name vom lateinischen pileatus, was „bedeckt“ oder „mit einer Haube versehen“ bedeutet – möglicherweise ein Hinweis auf die Wolken, die den Gipfel oft einhüllen [3].
Laufend den Legenden entgegen
Was auch immer die Wahrheit hinter dem Drachenstein und Pontius Pilatus sein mag – niemand kann die atemberaubende Schönheit von Luzerns Hausberg leugnen, die man am besten beim Aufstieg mit einem Freund erlebt.
Es sind Momente wie diese – 1.800 Höhenmeter über 22 Kilometer in den Schweizer Alpen zurückzulegen und anschließend in eiskalte Bergbäche zu springen – die Projekte wie The German Tapestry möglich machen. An diesem Tag wurde mein Freund Ben zur legendärsten Gestalt auf dem Pilatus, und ihm hinterherzujagen (weil er deutlich schneller ist als ich) war eine wahre Freude. Danke, Ben.

Quellen
[2] Grüll, Tibor (2010). "The Legendary Fate of Pontius Pilate". Classica et Mediaevalia. 164.


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