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Das Bourbaki-Panorama – Eine fesselnde Geschichte von Barmherzigkeit im Krieg

  • Autorenbild: Patrick Young
    Patrick Young
  • 12. Aug.
  • 5 Min. Lesezeit

Diese Reihe erkundet Spuren des deutschen Erbes außerhalb der Capital Region von New York. Hier klicken, um alle Artikel der Reihe zu sehen.


Wusstest du, dass es schon im 19. Jahrhundert IMAX-Kinos gab? Natürlich hießen sie damals nicht IMAX, aber die Idee war dieselbe: die Zuschauer mit Bildern und Geräuschen zu umgeben, um ein vollkommen immersives Erlebnis zu schaffen. Ende des 19. Jahrhunderts geschah dies am beliebtesten mit einem Cyclorama – einem riesigen 360-Grad-Gemälde, oft ergänzt durch dreidimensionale Requisiten am unteren Rand, Geräuscheffekte und Musik, sodass sich die Besucher fühlten, als stünden sie mitten im Geschehen einer anderen Zeit und eines anderen Ortes.


Im 19. Jahrhundert waren Cycloramen allgegenwärtig. Fast jede größere europäische und amerikanische Stadt besaß mindestens eines, und die Gemälde selbst reisten oft von Stadt zu Stadt, um den Menschen neue „immersive Erlebnisse“ zu bieten. Hunderte wurden produziert, doch heute existieren weltweit nur noch etwa 30. In den Vereinigten Staaten sind nur zwei erhalten – eines, das die Schlacht von Gettysburg in Pennsylvania zeigt, und eines, das die Schlacht von Atlanta in Georgia darstellt.


Die meisten erhaltenen Cycloramen, wie jene in den USA, zeigen heroische Schlachten und militärische Siege. In Luzern in der Schweiz jedoch gibt es eines mit einer ganz anderen Geschichte. Das Bourbaki-Cyclorama feiert nicht den Krieg, sondern erinnert an eine Tat der Barmherzigkeit und Gastfreundschaft während des Deutsch-Französischen Krieges.


Die Cycloramen von Gettysburg (links) und Atlanta (rechts).


Die Bourbaki-Armee in der Schweiz


Während des Deutsch-Französischen Krieges im Januar 1871 wurde die 87.000 Mann starke Armee des französischen Generals Charles-Denis Bourbaki besiegt und zu einem verzweifelten Winterrückzug gezwungen. Eingekesselt von deutschen Truppen auf drei Seiten und den verschneiten Jurabergen auf der vierten, waren die Soldaten am Verhungern, Erfieren und kurz vor dem Zusammenbruch.


Französische Truppen (rot) wurden von deutschen Kräften (blau) eingekreist, mit dem Rücken zu den Jurabergen an der Schweizer Grenze.
Französische Truppen (rot) wurden von deutschen Kräften (blau) eingekreist, mit dem Rücken zu den Jurabergen an der Schweizer Grenze.

Das neutrale Schweiz bot ihnen einen Ausweg. Am 1. Februar 1871 erklärten sich die Schweizer bereit, die Franzosen nicht als Kriegsgefangene – was Deutschland verärgert hätte – sondern als Internierte aufzunehmen. Die Soldaten gaben ihre Waffen ab und willigten ein, in der Schweiz zu bleiben, bis der Krieg beendet war.


Der Schweizer General Hans Herzog überwachte ihre Versorgung, sorgte für Nahrung, Kleidung und medizinische Betreuung. Um keine einzelne Gemeinde zu überlasten, wurden die Soldaten über das ganze Land verteilt, sodass fast jede Schweizer Gemeinde wusste, dass sie bald französische Gäste für unbestimmte Zeit beherbergen würde.


Die Schweizer waren stolz auf diese humanitäre Mission, die zu einem Teil ihrer wachsenden nationalen Identität als neutrales, mitfühlendes Land wurde.


Der Künstler, der es selbst erlebt hat


Zur Erinnerung an dieses Ereignis beauftragte Luzern den Schweizer Maler Édouard Castres mit der Gestaltung des Panoramas. Castres war die ideale Wahl – er war nicht nur Künstler, sondern tatsächlich selbst dabei gewesen. Als Sohn einer Schweizerin und eines Franzosen hatte Castres in der Bourbaki-Armee gedient und Verwundete von der Front in Krankenhäuser gebracht. Er erlebte die Internierung aus erster Hand und brachte sowohl künstlerisches Können als auch unschätzbare persönliche Erinnerungen in das Werk ein.


Ein Rundgang durch das Rundgemälde


Das Bourbaki-Panorama ist ein einziges, ununterbrochenes 360-Grad-Gemälde, über 10 Meter hoch und 112 Meter im Umfang. Sobald man eintritt, ist man von lebendigen Szenen aus jenem bitterkalten Winter des Jahres 1871 umgeben.


Gleich zu Beginn zeigt die erste Szene französische Soldaten, die ihre Waffen an die Schweizer Armee übergeben – der Moment, in dem sie aufhören, Kombattanten zu sein, und zu Internierten werden.

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Der Handschlag

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Im Zentrum reichen sich Schweizer und französische Generäle die Hand – eine Geste des Vertrauens und der Erleichterung. General Bourbaki selbst fehlt. Beschämt über seine Niederlage, versuchte er, sich das Leben zu nehmen; das Kommando ging an seinen Stellvertreter über, der die Internierung aushandelte. Dieser Moment markierte den Beginn, an dem sich die französischen Soldaten dem Schutz und der Fürsorge des Schweizer Militärs und Volkes anvertrauten.


Güte im Angesicht der Gefahr

Die französischen Soldaten betraten die Schweiz, von Krankheiten wie Pocken und Typhus geplagt – beides hochansteckend und oft tödlich. Erfrierungen waren allgegenwärtig. Ein Augenzeuge berichtete: „Als man die halb verfaulten Verbände entfernte, fielen ihre brandigen und erfrorenen Zehen wie reife Pflaumen ab.“


Das Gemälde zeigt Schweizer Bürger, die ohne Zögern helfen. Auf der einen Seite kniet eine Frau, um den erfrorenen Fuß eines Soldaten zu verbinden. Auf der anderen liefern Rotkreuzwagen Decken, Lebensmittel, Kleidung, Brennholz und Stroh. Die namenlose Frau in dieser Szene setzte sich bewusst der Gefahr tödlicher Krankheiten aus – doch dies hielt sie nicht davon ab, einem Bedürftigen zu helfen.


Leid jenseits des Menschen

The French army brought 12,000 horses with them, and caring for the animals was a Die französische Armee brachte 12.000 Pferde mit, deren Versorgung im tiefsten Winter eine logistische Herausforderung war. Hafer und Heu waren knapp, und viele Tiere verendeten noch vor dem Grenzübertritt. Mitunter wurden Soldaten dabei gesehen, wie sie Fleisch von den Kadavern für ihre eigene Ernährung abschnitten. Tote, sterbende und ausgemergelte Pferde sind im gesamten Panorama zu sehen.


Da eine ausreichende Versorgung nicht möglich war, versteigerte die Schweizer Regierung schließlich viele Tiere, während Soldaten andere privat – und illegal – verkauften. Die Kreuzung französischer Araber mit einheimischen Jurapferden hinterließ ein genetisches Erbe, das in der Schweiz noch heute sichtbar ist.


Die Herausforderung des Transports

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In einem weiteren Abschnitt sind Eisenbahngleise und ein echter Eisenbahnwaggon zu sehen, bereit, Soldaten quer durch die Schweiz zu transportieren. Damals waren die Bahnstrecken in der Schweiz eingleisig, sodass der gesamte Güterverkehr eingestellt werden musste, um die Tausenden von erfrorenen Männern von den Jurabergen in ihre vorübergehenden Unterkünfte zu bringen.


Vorbild in Uniform

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Schweizer Soldaten marschieren in straffer Formation – ein scharfer Kontrast zu den zerlumpten und erschöpften Franzosen. Sie stehen als Symbol für Schweizer Disziplin, Neutralität und die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen.


Nachwirkung und Erinnerung


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Trotz der Schweizer Bemühungen starben etwa 1.700 Soldaten an Krankheiten und Verletzungen, die sie während ihres Rückzugs erlitten hatten. In der ganzen Schweiz gibt es heute Dutzende von Denkmälern für diese Männer. Ein Beispiel befindet sich nur wenige Schritte vom Bourbaki-Panorama entfernt auf dem Friedhof der Luzerner Hofkirche.


Doch vielleicht kommt das eindrucksvollste Zeugnis nicht von einem Schweizer, sondern von einem französischen Soldaten, Émile Bellenger. Vom Erfrierungen geplagt, schrieb er:


„Die Schweiz ist wahrlich ein Paradies für Kranke. Welch ein Empfang, welche Fürsorge wir erhalten haben.“


Mehr als nur ein Gemälde


Das Bourbaki-Panorama ist mehr als eine Kunstinstallation – es ist ein immersives historisches Zeugnis aus einer Zeit, in der Neutralität nicht nur bedeutete, sich aus einem Krieg herauszuhalten, sondern auch aktiv für dessen Opfer zu sorgen.


Anders als andere Panoramen jener Epoche, die Zerstörung verherrlichten, feiert dieses die Menschlichkeit. Wer Luzern nicht persönlich besuchen kann, kann unten kostenlos eine virtuelle Tour ansehen. Treten Sie ein und erleben Sie – wie jene, die 1881 zur Eröffnung hier standen – nicht das Dröhnen der Schlacht, sondern die stille Heldentat eines Landes, das Fremden in Not seine Arme öffnete.


Quellen


Alle Informationen sind auf der Website des Bourbaki Panorama Museum Website.


Außerdem zeigt diese sehr detaillierte Quelle von der Website des Museums genau, wie viele Soldaten in jeder Schweizer Stadt untergebracht waren und den genauen Standort jedes Denkmals für die Soldaten der Bourbaki-Armee in der ganzen Schweiz.

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